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Rieble/Wiebauer, Meinungskampf im Betrieb

ZfA 2010, 63 ff.

13.04.2010

Die Gedanken sind frei - solange man sie für sich behält. Sobald sie das forum internum verlassen, stoßen sie auf die Schranken des Rechts. Der Aufsatz untersucht die Schranken der Meinungsfreiheit im individuellen wie kollektiven Arbeitsrecht anhand zahlreicher Beispielsfälle. Nicht nur zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsrat, Aufsichtsrat, Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, sondern auch jeweils gegenüber Dritten ist eine Vielzahl von Rücksichtnahmegeboten und Vertraulichkeitsgrundsätzen bis hin zu Meinungsäußerungsverboten zu beachten.

Die arbeitsvertragliche Mäßigungspflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet Arbeitnehmer dazu, durch ihre Meinungsäußerungen den Betriebsablauf weder nach innen noch nach außen zu stören. "Wer etwa in seinem Büro ein Hitler-Bild aufhängt, gefährdet die Geschäftsbeziehungen des Arbeitgebers, wenn Kunden Zugang zu diesem Raum haben." Welcher Arbeitnehmer sich geschäftsschädigend zulasten seines Arbeitgebers gegenüber Dritten äußert, kann sich bereits vor Erreichen der Schwelle des § 824 BGB schadensersatzpflichtig machen. Strafanzeigen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber können eher eine arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung begründen als umgekehrt, insbesondere haben Arbeitnehmer vorrangig innerbetriebliche Abhilfe anzustreben. Arbeitgeber sind verpflichtet, Mobbing im Betrieb entgegen zu wirken, soweit es unmittelbar am Arbeitsplatz und damit in ihrem Einflußbereich stattfindet. Diskriminierungsrecht, Datenschutzrecht, Maßregelungsverbot, Zeugnispflicht sowie Beseitigungspflicht von Einträgen aus der Personalakte werden als weitere individualarbeitsrechtliche Schranken der Meinungsfreiheit in dem Beitrag eingehend untersucht.

Im betriebsverfassungsrechtlichen Meinungskampf ist zwar der Betriebsrat der Hauptakteur, aber dennoch nicht Grundrechtsträger der Meinungsfreiheit. Vor allem die betriebsverfassungsrechtliche Neutralitätspflicht bei tariflichen Arbeitskämpfen bereitet häufig Schwierigkeiten, da sich dieses "Kampfverbot" einerseits nicht auf die einzelnen Betriebsratsmitglieder als Arbeitnehmer erstreckt und andererseits auch den Arbeitgeber nur in seiner betriebsverfasungsrechtlichen Funktion bindet. Deshalb können Betriebsratsmitglieder "bei Gelegenheit" ihrer Amtstätigkeit öffentlich Stellung beziehen, wenn die Auslegung aller Umstände ergibt, daß sie allein ihre persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringen. Gleiches gilt für Arbeitgeber in ihren Rollen als Unternehmer, Arbeitsvertragspartei, Verbandsmitglied oder Außenseiter. Das Verbot parteipolitischer Betätigung und die Verpflichtung auf den Betriebsfrieden (§ 74 Abs. 2 BetrVG) verbieten z.B. Werbung für Greenpeace, für das Rote Kreuz hingegen nicht. Auch ein originäres Recht auf Öffentlichkeitsarbeit kommt dem Betriebsrat nach Auffassung der Autoren nicht zu, solange der Arbeitgeber nicht selbst betriebsverfassungsrechtliche Fragen in die Öffentlichkeit trägt. Weitere Brennpunkte bilden Behinderungs- und Vertraulichkeitsschutz sowie Meinungsäußerungen im Betriebsratswahlkampf und auf Betriebsversammlungen.

Meinungsfreiheit und Koalitionsbetätigung verhalten sich liberaler zueinander, weil zum einen Art. 9 Abs. 3 GG vor allem den Gewerkschaften große Handlungsfreiräume verschafft, und weil zum anderen das Risiko, die Grenzen zulässiger Gewerkschaftsarbeit im Betrieb zu überschreiten, in erster Linie die Arbeitnehmer zu tragen haben. Sie können sich freilich insoweit an ihre Gewerkschaft halten, als sie in deren Auftrag gehandelt haben. Bis zu den Grenzen von wissentlicher Lüge und von Beleidigung ist Kampfpropaganda zulässig - auf Gewerkschafts- wie auf Arbeitgeberseite. Freilich siegt die Realität über die Theorie, wenn eine gewerkschaftsangehörige Ikea-Betriebsrätin am Rande eines Arbeitskampfes wahrheitswidrige Interviews im Namen der Streikleitung gibt, deswegen gekündigt wird und daraufhin ihre als Nikoläuse verkleideten Gewerkschaftskollegen im schwedischen Möbelhaus Protestkarten an Kunden verteilen: Der Arbeitgeber hat die Kündigung zurückgenommen.

Abschließend nehmen die Bearbeiter eine Systembildung vor und zeigen die Rechtsschutzmöglichkeiten vor unzulässigen Meinungsäußerungen und von zulässigen Meinungsäußerungen vor Repressionen auf. Sie wenden sich gegen die Tendenz, der Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer einen höheren Stellenwert einzuräumen als jener der Arbeitgeber, und treten für Besonnenheit im betrieblichen Meinungskampf ein: "Große Freiheitsräume, aber strikte Ahndung der erheblichen Grenzverletzungen schaffen den für eine offene und faire Meinungsauseinandersetzung erforderlichen Rechtsrahmen".

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