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Rieble, EuGH: Kartellkontrolle von Tarifverträgen

ZWeR 2016, 165-178

07.06.2016

Nachdem der EuGH mit seiner Kunsten-Entscheidung (Rs. C-413/13) die personelle Reichweite des Kartellkontrollprivilegs für Tarifverträge dahingehend konkretisiert hat, dass nur Tarifverträge für Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne von der Kartellkontrolle befreit sind, rückt die Kartellkontrolle von wettbewerbssteuernden Tarifverträgen in den Fokus. Tarifklauseln, die unmittelbar keine Arbeitsbedingungen, sondern die Auftragsvergabe zwischen Unternehmen regeln, sind keinesfalls vom Kartellkontrollprivileg gedeckt. Das Kartellamt verschließt bislang die Augen vor solchen Klauseln, obwohl sie gar nicht so selten sind:

  • Die IG Metall beeinflusste im Rahmen ihrer Aktion »Sauber waschen mit Tarif« große Metallunternehmen dahingehend, nur solche Wäschereien mit der Pflege von Arbeitskleidung zu beauftragen, die den Wäschereitarif der IG Metall anwenden.
  • Stahlunternehmen sollen gemäß dem Stahltarifabschluss 2010 nur solche Verleiher beauftragen, die sich zur Anwendung der Tariflohnsätze verpflichten, obwohl sie selbst gar keine Stahlunternehmen sind, auf die der Tarifvertrag Anwendung finden könnte.
  • Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und stellv. Aufsichtsratsvorsitzende von BMW hat dem Vorstand ein Memorandum of understanding abgerungen, wonach Kontraktlogistikdienstleister auf dem Werksgelände einen Tarifvertrag mit der IG Metall vorweisen müssen.
  • Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) hat gegenüber mehreren im Wettbewerb stehenden Luftfahrtunternehmen in Tarifverträgen sog. »Wet-Lease«-Klauseln durchgesetzt, die den Einsatz von Cockpit-Mitarbeitern verbieten, die nicht der Tarifbindung zur VC unterfallen. Überdies wird der Einsatz von Fremdflugzeugen unter eigenem Logo beschränkt. Das ist ein Musterbeispiel einer Wettbewerbsbeschränkung durch Sternvertrag, dessen Mitte die VC bildet.
  • In der Bauwirtschaft reagieren die Tarifparteien auf die »Flucht aus dem Arbeitsrecht« durch Soloselbständige durch einen »Mindestbeitrag für die Berufsbildung« in Höhe von mindestens 900 Euro jährlich, den die SoKa Bau von Betrieben einziehen darf, »auch wenn sie keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen«. Das ist nicht nur ein Machtmissbrauch durch die insoweit als Unternehmen zu qualifizierende SoKa Bau, sondern explizite Wettbewerbsbeschränkung, weil die Abgabe die Soloselbständigen durch Verteuerung ihres Geschäfts vom Markt für Bauleistungen vertreiben soll.

Es gibt zunehmend Anlass zu fragen, ob die Nachfragemacht für Dienstleistungen missbraucht wird (§ 19 Abs. 1 GWB) und ob Boykottdrohungen als Kampfmittel eingesetzt werden (Verstoß gegen § 21 Abs. 2 und 3 GWB). Nicht nur das Kartellamt hat »Anlass zum Tätigwerden« (§ 32c GWB), sondern auch Unternehmen, die von tarifinduzierten Wettbewerbsbeschränkungen nachteilig betroffen sind, sollten nicht um Kartellgerichtsschutz verlegen sein.


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