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Picker, Die betriebliche Übung im öffentlichen Dienst

ZTR 2012, 195-207

20.04.2012

Der Verfasser gibt zunächst einen umfassenden Überblick über Grundlagen, Reichweite und Grenzen der sich aus einem Leistungsverhalten des Arbeitgebers ergebenden anspruchsbegründenden betrieblichen Übung. Im Rahmen seiner Untersuchung unterschiedlicher Verhaltensweisen eines Arbeitgebers, in denen das Vorliegen einer betrieblichen Übung diskutiert wird, kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass eingeübten Verhaltensweisen des Arbeitgebers vielfach überhaupt kein rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille – nicht für die Gegenwart, und erst recht nicht für die Zukunft – entnommen werden kann. Sei nämlich der rechtsgeschäftliche Wille Geltungsgrund für eine betriebliche Übung, so müsse deren Anwendungsbereich zwingend auf solche Verhaltensweisen des Arbeitgebers beschränkt werden, denen der Arbeitnehmer objektiv den Erklärungswert einer Leistungszusage entnehmen könne. Dies sei aber typischerweise nur bei solchen Leistungen der Fall, die erkennbar aus einer entsprechend synallagmatisch motivierten Zwecksetzung des Arbeitgebers heraus erfolgen. Sei ein derartiger synallagmatischer Bezug objektiv erkennbar, so ergebe sich der für die Arbeitnehmer erkennbare Verpflichtungswille des Arbeitgebers aus der von ihm willentlich begründeten Interdependenz von Leistung und Gegenleistung. Die rechtsgeschäftliche „Bedeutung“ der jeweiligen Leistung für den Arbeitnehmer sei daher nicht allein nach deren materieller Bedeutung für die Arbeitnehmer zu bestimmen. Sie müsse vielmehr dahingehend untersucht werden, inwiefern sie ersichtlich Ausdruck ihrer besonderen „Wertschätzung“ durch den Arbeitgeber ist.

Nach Ansicht des Verfassers ist das BAG zu Recht zurückhaltend, bindende betriebliche Übungen im öffentlichen Dienst anzunehmen. Die Arbeitnehmer könnten dem Leistungsverhalten des öffentlichen Arbeitgebers nämlich einen weitergehenden Willen, sich über das rechtlich Geschuldete hinaus dauerhaft zu verpflichten, regelmäßig dann nicht entnehmen. wenn dieser dem Grundsatz der Haushaltsbindung und damit bei der Festsetzung der Arbeitsbedingungen Beschränkungen unterliege. Es gehe dabei nicht um eine sachwidrige „Privilegierung“ des öffentlichen Arbeitgebers, sondern um eine Würdigung der besonderen tatsächlichen Situation des öffentlichen Arbeitgebers im Rahmen einer normativen Auslegung. Freilich sei die damit verbundene Sonderstellung des öffentlichen Arbeitgebers nur gerechtfertigt, wenn dieser auch tatsächlich an das Haushaltsrecht gebunden und deshalb seine Gestaltungsmacht eingeschränkt ist. Sei der Arbeitgeber hingegen berechtigt, die Arbeitsbedingungen autonom festzusetzen, so komme eine konkludente Entgeltzusage auf Grund betrieblicher Übung ebenso wie bei einem privaten Arbeitgeber in Betracht. Allein der öffentliche Unternehmenszweck könne hier keine Sonderbehandlung rechtfertigen. Denn die Anwerbung entsprechend qualifizierter Mitarbeiter mittels Sonderleistungen laufe diesem Zweck nicht zuwider und von weitergehenden haushaltsrechtlichen Beschränkungen sei im Interesse der Autonomie des Arbeitgebers bewusst abgesehen worden.

Eingehend untersucht der Verfasser weiter, ob und unter welchen Voraussetzungen die in den Tarifwerken des öffentlichen Dienstes enthaltenen Formvorschriften das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern können. Dabei wird die undeutliche Abgrenzung von Nebenabreden sowie die Möglichkeit zusätzlicher arbeitsvertraglicher Schriftformklauseln umfassend erörtert. Schließlich geht der Verfasser auf das Problem der sog. irrigen betrieblichen Übung ein. Eine solche könne bei Leistungen, für die dem Grunde nach eine (kollektiv)vertragliche Verpflichtung besteht, grundsätzlich nicht entstehen. Erbringe der Arbeitgeber jedoch irrtümlich Leistungen, zu denen er weder individual – noch kollektivvertraglich verpflichtet ist, so sei das Entstehen einer betrieblichen Übung denkbar. Der Arbeitgeber könne diese jedoch anfechten und so zumindest für die Zukunft aufheben.


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