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Giesen, Gewillkürte Tarifpluralität

ZfA 2020, 466–486

19.11.2020

Die Abbedingung des § 4a Abs. 2 S. 2 TVG ist durch das BVerfG zu Recht zugelassen worden. Richtigerweise fordert das BVerfG hierfür eine trilaterale Übereinkunft aller Beteiligter, also der tarifierenden Arbeitgeberseite sowie der inhaltlich unterschiedlich tarifierenden Gewerkschaften.

Sofern eine Gewerkschaft und die Arbeitgeberseite die Nichtanwendung von § 4a Abs. 2 S. 2 TVG festlegen, kann dies nur dazu führen, dass die von ihnen geschlossenen Mehrheitstarifverträge nicht die Minderheitstarifverträge nach § 4a Abs. 2 S. 2 TVG verdrängen. Eine Vereinbarung, welche – gewissermaßen zulasten Dritter – die Geltung der eigenen Tarifverträge als Minderheitstarifverträge gegen kollidierende Mehrheitstarifverträge durchsetzt, ist nicht möglich. Das Zustandekommen von normativen Vereinbarungen, welche § 4a Abs. 2 S. 2 TVG umfassend abbedingen, ist auf mehreren Wegen möglich. Insbesondere ist denkbar, eine zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberseite geschlossene Vereinbarung davon abhängig zu machen, dass die privilegierte fremde Gewerkschaft ihrerseits eine gleichartige Regelung für den von ihr abgeschlossenen Tarifvertrag trifft. Entsprechend können zwei (oder mehr) Gewerkschaften nicht miteinander vereinbaren, dass § 4a Abs. 2 S. 2 TVG abbedungen wird; sie können aber ebenfalls eine solche Regelung treffen und festsetzen, dass sie in Kraft treten soll, sobald sich die Arbeitgeberseite anschließt.

Bilaterale Vereinbarungen, welche auf die Abbedingung von § 4a Abs. 2 S. 2 TVG gerichtet sind, diese normativ aber nicht herstellen, werden im Zweifel ohne Rechtsbindungswillen getroffen, also lediglich als tarifpolitische Absichtserklärungen. Selbst wenn sie mit Rechtsbindungswillen getroffen werden, sind sie aufgrund subjektiver rechtlicher Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Verpflichtung einer Partei zur Herbeiführung der Abbedingung von § 4a Abs. 2 S. 2 TVG ist demnach ausgeschlossen. Eine schuldrechtliche Tarifvertragsregelung, in welcher sich die Arbeitgeberseite verpflichtet, die Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft per arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbar zu machen, ist ebenfalls unwirksam. Vereinbarungen über die Abbedingung von § 4a Abs. 2 S. 2 TVG können nicht im Arbeitskampf erstritten werden.


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