Giesen/Kersten, Gewerkschaftsfürsorge – Die Beschlüsse des BVerfG zum Leiharbeitsverbot und zur Eigentumsnutzung im Arbeitskampf
ZFA 2021, 125-146
23.02.2021
Das BVerfG hat zwei Kammerbeschlüsse zum Arbeitskampfrecht gefasst. Der erste Beschluss betrifft das 2017 eingeführte Verbot des Leiharbeitseinsatzes im Arbeitskampf (§ 11 Abs. 5 S. 1 und 2 AÜG); im zweiten Beschluss geht es um BAG-Judikatur, welche es der Gewerkschaft Ver.di im Arbeitskampf mit Amazon erlaubt, auf Firmenparkplätzen Streikpostengruppen samt Stehtischen und Sonnenschirmen zu plazieren. Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, und dies mit teils wunderlichen Begründungen.
Ohne Leiharbeitsverbot, so die Kammer, würden die Folgen des Streiks arbeitgeberseitig „nahezu folgenlos abgefangen“. Das hat mit den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, in denen kein Einsatzverbot existierte, wenig zu tun: Der einzige bekanntere Fall, in dem Leiharbeitnehmer größere Streikbrucheinsätze leisteten, war der Poststreik 2015 – historischer „Übeltäter“ auf Arbeitgeberseite war damals also ausgerechnet ein Unternehmen des Bundes.
Die Thesen, mit denen die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Parkplatz-Judikatur des BAG rechtfertigt, sind ebenso überraschend: Die Richter erklären, ein Arbeitgeber befinde sich „gegenüber einer tariffähigen Gewerkschaft in einer Position der strukturellen Überlegenheit“. Nähme man das beim Wort, dürften Tarifverträge keine rechtliche Anerkennung mehr genießen, da sie Ergebnis arbeitgeberseitiger Verhandlungsübermacht sind. Strukturell unterlegen ist der einzelne Arbeitnehmer und nicht die Gewerkschaft. Des Weiteren behauptet die Kammer, ohne die Stehtischrunde auf dem Firmenparkplatz sei eine Ansprache arbeitswilliger Beschäftigter nicht möglich. Das ist gleichfalls erstaunlich. Denn erstens bereitet auch Ver.di ihre Arbeitskämpfe so professionell in Medien und sozialen Netzwerken vor, dass die Belegschaftsmitglieder keinen Streikaufruf verpassen. Und zweitens haben Gewerkschaften nach § 2 Abs. 2 BetrVG Anspruch auf Zugang zum Betrieb. Bei aller Verwunderung gerät so manche These des „neuen“ BAG-Arbeitskampfrechts aus dem Blick. Das BAG erklärt – nun mit ausdrücklicher Billigung des BVerfG – den Arbeitskampf zum delikts-, besitz- und eigentumsrechtlichen Rechtfertigungsgrund. Ob auf diese Weise künftig selbst Hausfriedensbrüche erlaubt werden, bleibt abzuwarten. ebenso, ob mit solchen richterlichen Fürsorgemaßnahmen den Gewerkschaften nicht wirklich geholfen ist.