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Reichert, Die sog. Betriebsvereinbarungsoffenheit des Arbeitsvertrags

ZFA 2023, 411–433

05.08.2023

Das Verhältnis zwischen Privatautonomie und betrieblicher Regelungsmacht kann als eine der wichtigsten Grundsatzfragen des Arbeitsrechts angesehen werden. Ohne an der Auslegung des objektiven Rechts zu rütteln, hat das BAG hierbei in den letzten zehn Jahren im Wege der Vertragsauslegung den Arbeitsvertrag als Gestaltungsmittel der Arbeitsbedingungen zugunsten der Betriebsautonomie zurückgedrängt. An das obiter dictum des Ersten Senats vom 5.3.2013 (1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rn. 58 ff.) anschließend sieht die Mehrzahl der BAG-Senate arbeitsvertragliche Abreden nämlich auch ohne eine explizite Öffnungsklausel (hierzu II.) bereits dann als konkludent betriebsvereinbarungsoffen an, wenn diese in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind und kollektiven Bezug haben. Der Beitrag zeigt Widersprüche dieser Rechtsprechung unter anderem gegen allgemeine Grundsätze der Vertragsauslegung und das AGB-Recht auf und fragt, ob Ungereimtheiten gegenüber der früheren Rechtsprechung zu einer Vorlage an den Großen Senat zwingen (III.). Anschließend wird die zur umfassenden konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit des Standardarbeitsvertrags führende Auslegungsregel des BAG auf ihre Auswirkungen hin untersucht: Kann der Arbeitgeber sich über den strategischen Zwischenschritt einer ablösenden Betriebsvereinbarung mittelbar vollständig von arbeitsvertraglichen Zusagen lösen? Weist die konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit einen Ausweg aus der dauerhaften schuldrechtlichen Tarifbindung nach Betriebsübergang (Asklepios-Problematik)? Rüttelt die umfassende konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit gar an der gefestigten Rechtsprechung des Großen Senats zur Mitbestimmung bei der Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen (zu allem IV.)? Zuletzt wird der Vorwurf an das BAG, unter dem Deckmantel der Vertragsauslegung eigentlich Rechtsfortbildung zu betreiben, zum Anlass genommen, in nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eine Ausnahme vom Günstigkeitsprinzip aus dem Gesetz selbst abzuleiten, soweit die Ausgleichsfunktion der Betriebsverfassung einschlägig ist („Gesetzliche Betriebsvereinbarungsoffenheit“, V.).

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