Giesen, Streikziel Allgemeinverbindlicherklärung
ZFA 2025, 30 – 49
15.02.2025
Seit 2015 bedarf es gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 TVG für die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) eines gemeinsamen Antrags beider Tarifvertragsparteien; vorher genügte der Antrag einer einzigen Tarifvertragspartei. Mittlerweile wird immer wieder mit dem Ziel gestreikt, den Arbeitgeberverband zu einer Antragstellung zu verpflichten. Die betreffenden Streiks sind rechtswidrig, und zwar aus mehreren Gründen:
Der AVE-Antrag ist nach § 5 Abs. 1 S. 1 TVG eine verbandlich selbstbestimmte Veranlassung hoheitlicher Normsetzung. Die Entscheidung darüber ist sowohl von der Gewerkschaft als auch vom Arbeitgeberverband jeweils autonom zu treffen. Deshalb lässt sich eine Antragspflicht nicht tarifförmig regeln und somit auch nicht im Arbeitskampf erstreiten.
Aber selbst dann, wenn man zur Erzwingung der AVE-Antragspflicht einen Streik zulassen wollte, verstieße dieser gegen die Regeln über die drittgerichtete Arbeitskampfführung. Es handelte sich nämlich um einen Streik gegen eine Arbeitgebergruppe (die Verbandsmitglieder), der das Ziel hat, die Tarifgeltung bei einer anderen Arbeitgebergruppe (die Außenseiterarbeitgeber) durchzusetzen. Eine solche Kampfmaßnahme muss den Vorgaben für Unterstützungsstreiks entsprechen. Nach der Rechtsprechung des BAG sind Unterstützungsstreiks nur zulässig, wenn zwischen der Gruppe der bestreikten Arbeitgeber und der Gruppe der Arbeitgeber, bei denen die Tarifgeltung durchgesetzt werden soll, eine besondere wirtschaftliche Nähebeziehung existiert. Eine solche Nähebeziehung besteht zwischen den Verbandsmitgliedern und den Außenseiterarbeitgebern nicht.