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Latzel, Primärrechtliche Effektuierung der Arbeitszeitgrenzen

EuZA 2019, 469–481

01.10.2019

Alle Arbeitgeber müssen die täglichen Arbeitszeiten all ihrer Arbeitnehmer aufzeichnen. Das gebietet das Grundrecht der Arbeitnehmer auf Schutz vor Überarbeitung i.V.m. der Arbeitszeitrichtlinie, das irgendwie auch private Arbeitgeber unmittelbar bindet, meint der EuGH (Große Kammer v. 14.5.2019 – C-55/18 – CCOO). Die Begründung der Entscheidung ist dürftig und legt Zeugnis vom gegenwärtigen Stand der EuGH-Methodik ab. Die Entscheidung ist gleichwohl von allen Arbeitgebern anzuwenden und zwar sofort, ohne dass erst noch der Gesetzgeber tätig werden müsste.

Die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer (einschließlich leitender Angestellte, Chefärzte, Leiter von öffentlichen Dienststellen, Jugendlicher etc.) in jedem Unternehmen sind ab sofort wie folgt zu protokollieren:

  • Objektiv: Exakte Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeitdauer nach Stunden und Minuten. Das setzt eine klare Definition der Tätigkeiten voraus, die zur Arbeitszeit zählen. Die Erfassung kann den Arbeitnehmern übertragen werden.
  • Verlässlich: Erfassungsungenauigkeiten und Manipulationsmöglichkeiten müssen auf ein Minimum reduziert werden. Wie das bei Tätigkeiten, die nicht an einen bestimmten physischen Arbeitsplatz gebunden sind, realisiert werden soll, ohne in Totalüberwachung zu verfallen, bleibt schleierhaft. Wer nach dem »Ausstempeln« noch weiterarbeitet, dem hilft ohnehin kein Zeiterfassungssystem.
  • Zugänglich: Auf die erfassten Daten müssen alle berechtigten Interessenten zugreifen können, also Arbeitgeber, Betriebsrat, staatliche Überwachungsbehörden und die jeweils betreffenden Arbeitnehmer. Letztere sollten unaufgefordert ihre absolvierten Arbeitszeiten monatlich mitgeteilt bekommen.

Je häufiger der EuGH dem Gesetzgeber die mühevolle Kompromissfindung in sozialen Fragen abnimmt, desto geringer wird der Anreiz zur ordentlichen Sekundärrechtssetzung, insbesondere zur dringend nötigen Reform des Arbeitszeitrechts.


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