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Lettmeier, Die Ratifizierung der revidierten Fassung der Europäischen Sozialcharta – wird endlich gut, was lange währte?

ZESAR 2021, 217-223

05.05.2021

Am 18. November 2020 hat die Bundesrepublik Deutschland den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates übernommen. Zu diesem Anlass wurde die Ratifizierung der revidierten Fassung der Europäischen Sozialcharta (RESC) wieder einmal auf die Tagesordnung gesetzt – dieses Mal von der Bundesregierung selbst. Die RESC ist in Deutschland am 1. Mai 2021 und damit 25 Jahre nach ihrer Verabschiedung durch den Europarat in Kraft getreten. Der Beitrag beschäftigt sich mit den inhaltlichen Änderungen gegenüber der Europäischen Sozialcharta (ESC) und zeigt die Ambitionslosigkeit des deutschen Vertragsgesetzes auf: Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung werden vollumfänglich ausgeschlossen.

Zu den 19 sozialen Rechten der ESC sind in den Art. 20 bis 31 RESC zwölf neue materielle Rechte hinzugekommen. Die Bundesrepublik Deutschland hat nur sieben der zwölf Rechte ratifiziert. Das deutsche Vertragsgesetz sieht des Weiteren vor, dass neun Auslegungserklärungen zu sieben Artikeln, die sich bereits in der ESC fanden, angebracht werden. Mit diesen stellt sich die Bundesregierung gegen die Auslegung durch den Europäischen Ausschuss für Soziale Rechte (EASR). Der rechtliche Charakter dieser Erklärungen lässt sich nicht ohne Weiteres erschließen. Man könnte das Vorliegen eines ‚versteckten‘ Vorbehalts diskutieren. Auslegungserklärungen sind völkerrechtlich Vorbehalten gleichgestellt, wenn der Staat seine Bindung an den Vertrag von einer ganz bestimmten Auslegung des Vertrags oder einzelner Bestimmungen abhängig macht, sog. qualifizierte oder bedingte Auslegungserklärung. Würde man demzufolge eine qualifizierte Auslegungserklärung annehmen und die deutschen Auslegungserklärungen nach den Regeln für Vorbehalte beurteilen, so verstießen sie gegen Art. 19 lit. d WVK iVm Art. A RESC, weil Artikel, die in der ESC bereits ratifiziert wurden, nach der Bestandsschutzklausel nicht von der Ratifikation ausgenommen werden dürfen. Bei den deutschen Auslegungserklärungen zur RESC handelt es sich im Ergebnis aber nicht um unzulässige qualifizierte Auslegungserklärungen, weil die Auslegung durch den EASR für die Vertragsparteien nicht verbindlich ist. Im Ergebnis wird der konkreten Norm durch die Auslegungserklärung aber die Relevanz genommen, weil sie ohne die Auslegung durch den EASR noch keine Vorgaben schafft.

Aufgrund der Unverbindlichkeit der Spruchpraxis des Europäischen Ausschuss für Soziale Rechte und aufgrund der deutschen Vorbehalte und Auslegungserklärungen wird auch von der RESC kein Anpassungsdruck auf die deutsche Rechtsordnung ausgehen. Der Hoffnungsträger für einen völkerrechtlichen Einfluss auf soziale Rechte ist damit weiterhin die EMRK einschließlich des EGMR und nicht die RESC.


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