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„Nur wer genau weiß, was er vermitteln will, kann sich kurz und verständlich ausdrücken! Klarer Inhalt und gute Sprache gehen Hand in Hand!“
(Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit [Ausgabe 2008] 33)

Stil und Lesbarkeit

Oberste Richtschnur: Sie schreiben für den Leser, nicht für sich selbst. Sie wollen in der Sache mit klugen Gedanken und Argumenten überzeugen. Die Dissertation ist kein Tätigkeitsbericht über das eigene Denken und Erleben. Der Leser will das nicht wissen. Sie präsentieren ein Arbeitsergebnis und keine Prozessdarstellung.

  • Keine Lehrbuchausführungen, die nur zeigen, in welche Rechtsgebiete der Doktorand sich hat einarbeiten müssen (und ob ihm dies gelungen ist). Vielmehr muss an jeder Stelle des Textes erkennbar sein, weshalb dem Leser diese Ausführungen zugemutet werden. Setzen Sie wichtige Aussagen immer an den Anfang des (Haupt-)Satzes. Wie in der Klausur gilt: Wofür kommt es darauf an? Inwiefern hilft dieser Satz dem Leser, meinem Gedankengang zu folgen?
  • Vermeiden Sie Schachtelsätze, unnötige Fremdwörter, Substantivierungen (Nominalstil), Passivkonstruktionen und Scheinverben („stellt sich dar“, „erscheint“ statt „ist“): „Ziel dieser Verpflichtung ist die Ermöglichung der Durchsetzung des Rechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit aber auch der Ruhezeiten“: Acht Nomina, fünf Genitive, nur ein Hilfsverb. Schrecklichstes Kanzlei-Deutsch.
  • Aus Verben gewonnene Adjektive wirken schal. Statt „dies und das ist naheliegend“ besser: „… liegt nahe“. Schlimmes Blubberdeutsch: „zielführend“, Welches Ziel? Wer hat es mit welcher Legitimation gesetzt? Und woher will der Autor wissen, ob eine Maßnahme oder ein Argument zum Ziel führt?
  • Vermeiden Sie nichtssagende „Blähwörter“: so genügt statt „Fragestellung“ schlicht Frage; statt „Thematik“ genügt Thema. Räume statt Räumlichkeiten; Problem statt Problematik; Kostenpflicht statt Kostenpflichtigkeit, ebenso Sozialplanpflicht; Vorrang statt Vorrangigkeit. Hierher rechnen viele Substantivierungen (schlimm: Beinhaltung, Verortung; Nachvollziehbarkeit). Schlimm auch das Wort „seitens“. Hier genügt „von“.
  • Reihen Sie bei der Erörterung eines Problems nicht wahllos Literatur und Rechtsprechung aneinander; eine Frage muss aufgeworfen, erörtert und beantwortet werden. Der Leser muss den „roten Faden“ der Gedankenführung erkennen können.
  • Die direkte Frage ist punktuell ein sehr gutes Stilmittel. Ihr Übereinsatz wirkt affektiert.
  • Zur Auflösung stilistischer Zweifelsfragen ist es ratsam, eine Stilkunde heranzuziehen. Überhaupt empfiehlt es sich, intensiv über Sprache und ihre Darstellungsmöglichkeiten nachzudenken. Der beste Gedanke hilft wenig, wenn er nicht mit dem Mittel der Sprache an den Adressaten gebracht werden kann. Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern und nichts weiter! [Nietzsche].
    Beim Nachdenken über Sprache leisten eine Reihe von Werken gute Hilfe:
    • Erwägungen zur Juristensprache: Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 4. Auflage 2024, S. 143 ff (abrufbar: hier)
    • leichtgängig (für Einsteiger und Mittelbegabte): Bastian Sick, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – und die Zwiebelfisch-Kolumne des Autors: www.spiegel.de/zwiebelfisch
    • für Juristen unentbehrlich: Ludwig Reiners, Stilkunst (bis auf das überholte Fremdwortkapitel)
    • moderner (und sprachlich griffiger) die zahlreichen Bücher von Wolf Schneider, vor allem: „Deutsch für Profis” und „Deutsch für Kenner”
    • gebildet und unterhaltsam – Sprachglossen: Gauger, Was wir sagen, wenn wir reden
    • anspruchsvoll: Thalmayr (Pseudonym von Hans Magnus Enzensberger), Heraus mit der Sprache
    • und für die Herzenssprachbildung die Kurztexte von Max Goldt.
Deswegen ist am Ende der Arbeit stets ein Sprachdurchgang vorzunehmen.


    Abschreckender Papierstil

    Erhellend sind „Die 18 Regeln des Papierstils“ des Juristen Ludwig Reiners (aus seinem für Juristen unentbehrlichen Werk Stilkunst; Dank an den Beck-Verlag für die Gestattung der Wiedergabe):

    „Papierdeutsch lernt man leicht; man muss nur die folgenden 18 Regeln beachten. Oder auf Papierdeutsch: man kann sagen, daß, sofern man sich hinsichtlich Beachtung der nächstfolgenden Anweisungen keinerlei Außerachtlassung zuschulden kommen läßt, die Inbenutzungnahme des Papierstils als eine unschwierige zu bezeichnen sein dürfte.

    1. Benütze nie einfache Zeitwörter! Es heißt nicht sein, sondern sich befinden; nicht haben, sondern über etwas verfügen; nicht können, sondern sich in der Lage sehen. Schon Gott hat gerufen: Adam, wo befindest du dich? Jedermann weiß: die Summe aller guten Dinge beziffert sich auf drei. Und: ein gutes Gewissen stellt sich als ein sanftes Ruhekissen dar.
    2. Ersetze die echten Zeitwörter durch Hauptwörter, die du mit einem saftlosen allgemeinen Zeitwort verbindest. Es ist ganz ungebildet zu sagen: Meyer starb am 1. April. Es muss heißen: Der Tod Meyers erfolgte am 1. April. Ich vermag nicht in eine mildere Beurteilung der erst­genannten Ausdrucksweise einzutreten.
    3. Bilde fleißig neue Zeitwörter aus Hauptwörtern, zum Beispiel bevorschussen, bevorzugen, beinhalten. Aus solchen Zeitwörtern bilde dann wieder Hauptwörter: Bevorschussung, Bevorzugung. Das Vorbringen des Angeklagten machte einen sehr schlechten Eindruck, denn seine Beinhaltung stand im Widerspruch zu seiner sonstigen Haltung. An die Beinhaltung muß sich der Leser eben gewöhnen.
    4. Bringe möglichst viele Hauptwörter auf -ung, -heit, -keit in Anwendung. Der Stil gewinnt so eine prachtvolle Klangformung, erhält eine schöne Abgezogenheit und ist plumper Verständlichkeit nicht so ausgesetzt. Der Fall ist verwickelt, so ein Satz ist ein gemeines Umgangsdeutsch. Der Fall liegt in hohem Maß verwickelt ist etwas besser. Ganz richtig muss es aber heißen: Die Lagerung des Falles ist eine hochgradig verwickelte. Hätte Luther ein sorgfältigeres Deutsch geschrieben, so würde der Anfang der Bibel lauten:
      Am Anfang erfolgte seitens Gottes sowohl die Erschaffung des Himmels als auch die der Erde. Die letztere war ihrerseits eine wüste und leere und ist es auf derselben finster gewesen, und über den Flüssigkeiten fand eine Schwebung der Geistigkeit Gottes statt.
    5. Setze überhaupt statt kurzer konkreter Hauptwörter lange und abstrakte. Nicht die Wege sind schlecht, sondern die Wegverhältnisse. Es heißt auch nicht zum Schlachten, sondern für Schlachtzwecke; nicht bei Gefahr, sondern in Gefahrsfällen. Sage nicht Einfluß, sondern Einflußnahme! Die deutsche Sprache gestattet beliebige Zusammensetzungen, von der Großvaterwerdung Bismarcks und der In-die-Luft-Sprengung des Hauses bis zur Großeheanbahnung und der Zeit ihres In-die-Jahre-Kommens.
    6. Auch die Verhältniswörter (Präpositionen) sind von unschöner Kürze. Man muss sie daher verlängern. Nicht nach Vorschrift, sondern nach Maßgabe der Vorschriften; nicht mit, sondern unter Zuhilfenahme. Auch Wörter wie seitens, behufs, anläßlich, vermittelst haben einen etwas vornehmeren Umfang als solche Zwerggebilde wie von, zu, bei und wegen. Eile vermittelst Weile. Schon die einst berühmte Stilistik von Karl Ferdinand Becker lehrte: „In Beziehung auf die Schönheit des Stiles ist auf den gehörigen Gebrauch der Nebensätze zu achten.“
    7. Vornehme Länge und wohl abgewogene Unentschiedenheit – die beiden Hauptkennzeichen eines guten Stils – lassen sich auch durch vernichtende Ausdrucksweise erzielen. Man sagt also nicht Der Schaden ist groß, sondern Mit der Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens dürfte zu rechnen sein.
    8. Bring in jedem Satz das Wort derselbe in Anwendung. Derselbe gewinnt dadurch logische Klarheit. Auch ein häufiges einerseits – andererseits gibt dem Satz ein vornehmes Gepräge. Tue einerseits recht und scheue andererseits niemand.
    9. Für eine ausreichende bzw. vollständige Klarheit ist das Wort beziehungsweise (respektive in Österreich beziehentlich) unentbehrlich. Ich habe Barbara bzw. Andreas eine Puppe bzw. Autos mitgebracht. Lass dir nie einreden, die Wörtchen und bzw. oder reichten als Ersatz aus und Sätze, die denn unklar blieben, wären schlecht gegliedert. Ich habe Barbara eine Puppe und Andreas Autos mitgebracht klingt wie gewöhnliche Menschenrede und ist daher ein schlechtes Deutsch.
    10. Sorge dafür, dass die altüberlieferten, ehrwürdigen Kanzleiausdrücke nicht abgeschafft werden. Diesbezügliche Bemühungen bzw. Anstrengungen sind dortseits streng zu unterbinden. In Beantwortung Ihrer geschätzten Anfrage vom ... teilen wir Ihnen mit wie folgt ... Freilich will das geübt sein. Kein Meister fällt als solcher vom Himmel.
    11. Der Papierstil ist ein kunstvoller, also setze vor derartige Beiwörter stets ein. Lass dir auch nicht einreden, man dürfe nur dann sagen die Kirsche ist eine saure, wenn sie zur Art der sauren Kirschen gehöre; der Zeichenlehrer müsse sagen: diese Linie ist eine krumme. Das sind Schulfuchsereien. Schon Schiller hat gesagt: Der Wahn ist ein kurzer, die Reue ist eine lange.
    12. Stelle möglichst kein Hauptwort nackt hin, sondern – wenn du kein Beiwort dazusetzen kannst – dann füge wenigstens ein Mittelwort (Partizip) hinzu: die gemachten Erfahrungen, die getroffenen Feststellungen, die erhaltenen Bezüge, die gegebenen Daten, die durchgeführte Untersuchung. Wenn man das Mittelwort wegläßt, bleibt der Sinn zwar der gleiche, aber der Satz verliert die abgerundete Schallform. Man soll den Tag nicht vor dem eingetretenen Abend loben.
    13. Baue lange Sätze! Da bekommt der Leser Respekt. Möglichst je Seite ein Satz! Falle deshalb nicht mit der Tür ins Haus, sondern schicke jedem Satz einen Vorreiter voraus: Man darf sagen, es versteht sich von selbst, es bedarf keiner Erwähnung, es kann davon ausgegangen werden. Oder:  Bevor ich beginne, möchte ich, ohne mich in Einzelheiten zu verlieren, nicht auf die Feststellung verzichten, daß ... Auf diese Weise kommt der eigentliche Inhalt schön in den Nebensatz, wo ihn der Leser nicht so schnell versteht. Das ist sehr wichtig; denn wenn der Leser dich schnell versteht, merkt er womöglich gar nicht, dass du viel klüger bist als er.
    14. Wenn du etwas Gesprochenes wiedergibst, so setze es mit Hilfe des Wortes dass in die indirekte Rede. Sie ist weit feiner. Und Gott sprach, daß es Licht werden sollte.
    15. Setze jeden Satz möglichst in die Leideform (Passiv). Die Karten sind von dem Gemeindevorstand zu bestellen. Freilich weiß man nicht recht, ob der Gemeindevorstand die Bestellungen erhalten oder erteilen soll; aber das schadet nichts. Auch keine Härten kann man beim Passiv in Kauf nehmen: Mit dem Stadtratbeschluss wurde sich einverstanden erklärt oder Die Schulbehörde kam diesem Antrag nach, obwohl auch meinerseits aus Gründen der Überbürdung sich dagegen erklärt worden war.
    16. Man sage nichts gerade heraus, sondern schwäche es ein wenig ab. Wo ein Wille dazu da ist, dürfte auch ein Weg sein.
    17. Bezeichne alle Dinge recht ausführlich. Es ist oberflächlich zu sagen: er zahlte drei Mark; richtig ist den Betrag von drei Mark. Es heißt auch nicht: auf zwei Jahre, sondern auf die Dauer von zwei Jahren.
      Man kann gar nicht ausführlich genug sein; das dumme Volk der Leser versteht es sonst nicht. Wieviel Unglück kann aus so unklaren Zwergsätzen entstehen wie: Alle Mann an Deck. Im guten Deutsch heißt es: Die unter Deck befindlichen Fahrgäste einschließlich des Personals haben sich mit sofortiger Wirkung an Deck zu begeben.
      Schließe jedes Missverständnis durch reichliche Wiederholungen aus: „Wenn ein Haus brennt, so muß man vor allen Dingen die rechte Wand des zur Linken stehenden Hauses, und hingegen die linke Wand des zur Rechten stehenden Hauses zu decken suchen, denn wenn man zum Exempel die linke Wand des zur Linken stehenden Hauses decken wollte, so liegt ja die rechte Wand des Hauses der linken Wand zur Rechten, und folglich, da das Feuer auch dieser Wand und der rechten Wand zur Rechten liegt (denn wir haben ja angenommen, dass das Haus dem Feuer zur Linken liegt), so liegt die rechte Wand dem Feuer näher als die linke, und die rechte Wand des Hauses könnte abbrennen, wenn sie nicht gedeckt würde, ehe das Feuer an die linke, die gedeckt wird, käme; folglich könnte etwas abbrennen, das man nicht deckt, und zwar eher, als etwas anderes abbrennen würde, auch wenn man es nicht deckte; folglich muß man dieses lassen und jenes decken. Um sich die Sache zu imprimieren, darf man nur merken: wenn das Haus dem Feuer zur Rechten liegt, so ist es die linke Wand, und liegt das Feuer zur Linken, so ist es die rechte Wand.“ (Georg Chr. Lichtenberg)
    18. Wenn du alle diese Kunstmittel geschickt verbindest, dann wirst du den Kanzleistil zum Wirklichen Geheimen Kanzleiratstil steigern und so schöne Sätze schreiben wie:
      „Diejenigen Personen, welche die Absicht haben, die militärische Laufbahn einzuschlagen, haben ihrerseits die Verpflichtung, sich als solche unverzüglich in den Besitz eines Gewehres zu setzen. Letzteres muss von denselben unter Zuhilfenahme einer schwerwiegenden Kugel vermittelst Pulver zur Ladung gebracht werden.“
      Wieviel klarer und unmissverständlicher ist dieser Satz als das banale: „Wer will unter die Soldaten ...“

    Beispiel für Vereinfachung

    „Danach sind auch gegen tarifvertragliche Altersgrenzen, die an die Möglichkeit der Beantragung, einer (auch vorzeitigen) Altersrente anknüpfen, keine Bedenken zu erheben.”

    1. Schritt: aus „Beantragung“ wird „zu beantragen“
      Danach sind auch gegen tarifvertragliche Altersgrenzen, die an die Möglichkeit anknüpfen, eine (auch vorzeitige) Altersrente zu beantragen, keine Bedenken zu erheben.
    2. Schritt: aus dem passiven „Möglichkeit“ wird ein Subjekt (Arbeitnehmer) + kann
      Danach sind auch gegen tarifvertragliche Altersgrenzen, die daran anknüpfen, dass der Arbeitnehmer eine (auch vorzeitige) Altersrente beantragen kann, keine Bedenken zu erheben.
    3. Schritt: Füllwörter und redundanten Schwulst („auch“ „keine Bedenken zu erheben“) entfernen
      Danach kann der Tarifvertrag mit der Altersgrenze daran anknüpfen, dass der Arbeitnehmer eine (auch vorzeitige) Altersrente beantragen kann.
    4. Schritt: „Der Tarifvertrag“ handelt nicht. Besser: „Die Tarifparteien“.
      Danach können die Tarifparteien mit der Altersgrenze daran anknüpfen, dass der Arbeitnehmer eine (auch vorzeitige) Altersrente beantragen kann.
    5. Schritt: „anknüpfen“ ist in der Aussage zu schwach, es geht um die Rechtfertigung (gegenüber der mittelbaren Grundrechtsbindung aus Art. 12 Abs. 1 GG).
      Danach können die Tarifparteien die Altersgrenze damit rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer eine (auch vorzeitige) Altersrente beantragen kann.


    Stil und Gestammel

    Gutachten über Doktorarbeiten gehen vielfach auf die Verständlichkeit und hierbei implizit auf Stil und Sprache ein. Großartig ist die Rezension einer Dissertation von Kuhlen in der ZIS (2020, 327; hier interessieren die Seiten 330 bis 334 zu Stil und Sprache): Was der Autorin dort widerfährt, hat sie ausschließlich dem eigenen Gestammel zuzuschreiben. Kuhlen nennt das treffend „Defizite[n] der sprachlichen und gedanklichen Feinmotorik“. In der Tat lässt Nietzsches Wort: „Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern, und gar nichts weiter!“ den Gegenschluss zu: „Denkfehler zeigen sich in Stilfehlern“ und „Wo der Satz falsch ist, stimmt auch der Gedanke nicht.“ (Hans Hattenhauer, FAZ 8.12.1995, S. 17).
    Wer stammelt und labert, sich in „Wiederholungen, Sprachschwulst und Pathos“(Hattenhauer) ergeht, hat unausgegorene Gedanken, behelligt den Leser mit bestenfalls Halbfertigem und bringt neben eigener Unfähigkeit zugleich einen Mangel an Wertschätzung gegenüber dem Publikum zum Ausdruck (das Elend beleuchtet Leitmeier, Summa cum laude: Ohne Gewehr, myops 2022, 14 und Auf den Hund gekommen, myops 2023, 31 – dringende Leseempfehlung; sehr fein Gärditz, Strafrechtslehre als Wissenschaft? ZIS 2021, 413). Sprachliche Unfähigkeit und fehlender Wille zur Anstrengung in Wortfindung und Gedankenführung sind wesentlicher Grund für den Qualitätsverfall von Dissertationen.

    Sehr klar hat das Karl Popper ausgedrückt: „Jeder Intellektuelle hat eine ganz spezielle Verantwortung. Er hat das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren. Dafür schuldet er es seinen Mitmenschen (oder ›der Gesellschaft‹), die Ergebnisse seines Studiums in der einfachsten und klarsten und bescheidensten Form darzustellen. Das Schlimmste […] ist, wenn die Intellektuellen es versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken. Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“ „[D]ie Anmaßung des dreiviertel Gebildeten –, das ist das Phrasendreschen, das Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen. Das Kochrezept ist: Tautologien und Trivialitäten gewürzt mit paradoxem Unsinn. Ein anderes Kochrezept ist: Schreibe schwer verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist, in einem so ›tiefen‹ Buch Gedanken zu finden, die er schon selbst einmal gedacht hat“ (Gegen die großen Worte, in: Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt [1987] 99 ff, 100, 103, Hervorhebung durch mich). Beispiele für extremen Schwulst zeigt Kuhlen in seiner Buchbesprechung.

    Die Autorin der von Kuhlen sezierten Dissertation hat Verteidigung dahin erfahren, dass solche Sprachkritik in Form eines Verrisses in einer Rezension unangemessen sei oder gar Machtmissbrauch gegenüber der Berufsanfängerin. Das ist einigermaßen abwegig: Juristen sind auf besondere Weise auf die Sprache des Rechts angewiesen. Rechtsfindung ist ein „Vorgang des Sprechens“ – von der Parlamentsdebatte bis zur Gerichtsverhandlung (Paul Kirchhof). Das gilt gerade für die Wissenschaft: Ihr Kampf umʼs richtige Recht wird mit Vorträgen und Publikationen ausgefochten. Wer nicht sprechen oder schreiben kann, stört den Diskurs. Das rechtliche und wissenschaftliche Gehör setzt hinreichende Präzision in der Äußerung voraus. Eine sprachlich schlechthin misslungene und also unverständliche Klagschrift fängt sich den Vorwurf der Unschlüssigkeit ein; der unverständliche Schiedsspruch wird kassiert (OLG Frankfurt a.M. 6.5.2010 – 26 Sch 4/10). Der richterliche Hinweis mag für den Anwalt peinlich sein, ist aber geboten. Wenn Sprachfehler Denkfehler sind, dann ist die Sprachkritik stets und notwendig Kritik in der Sache. Nur Sprach- und Stilkritik vermag einen Beitrag zur Verbesserung des Sprechens und Schreibens in der Wissenschaft zu leisten – und dem Sprachverfall Einhalt zu gebieten. Das Gerede vom „Flüchtigkeitsfehler“ offenbart erhebliche intellektuelle Defizite: Flüchtigkeit ist Schlampigkeit, also das Unterlassen der gebotenen Anstrengung und Sorgfalt. Wer schlampig schreibt, hat nicht zu Ende gedacht und mutet dem Leser ein Produkt zu, dessen Herstellung nicht abgeschlossen ist.
    Selbst eine größere Menge von bloßen Tippfehlern (Buchstabendreher), deren Ursache zunächst nicht im Kopf, sondern in der Feinmotorik liegt, zeigt nur, dass der Doktorand keinen abschließenden Korrekturdurchgang gemacht hat. Das wiederum ist eine Zumutung und offenbart eine große Gleichgültigkeit.
    Schließlich: Wer nicht schreiben kann, bei dem hapert es in der Regel auch mit dem Lesen. Nicht nur die echte Schreibschwäche (Dysgraphie) korreliert vielfach mit einer Leseschwäche (Dyslexie). Auch das wissenschaftliche Stammeln und Plappern des „nicht-zu-Ende-denkenden“ Autors geht in aller Regel mit einem Unvermögen einher, die Äußerungen anderer Autoren sinnerfassend zu verstehen und zu „begreifen“, ja überhaupt zu verstehen, mit welcher Anstrengung feinsinnig differenzierte Äußerungen gemeint sein können. Die wissenschaftliche Leseschwäche (von Professoren) hat Björn Burkhardt eindrucksvoll und erschreckend beschrieben (2. FS Eser [2015] 313). Die Rezension von Kuhlen zeigt deutlich, dass jene Autorin erhebliche Probleme nicht bloß im Schreiben, sondern auch im Erfassen des Schrifttums hatte. Mithin lösen solche Plappermäulchen die Arbeitshypothese aus, dass sie nicht richtig gelesen haben, worüber sie zu schreiben vorgeben. Eine Unschuldsvermutung gibt es nicht. Auch die Promotionsurkunde liefert keinen Beweiswert für die eigenständige wissenschaftliche Leistung als Anforderung an die Dissertation, sondern bescheinigt nur das formal ordnungsgemäße Verfahren. Sonst müsste man all die Professoren, die Doktorarbeiten passieren lassen, die sie nicht oder kaum gelesen haben, wegen Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) verfolgen. Das wiederum bedeutet: Mit solchen Werken muss der redlich arbeitende Wissenschaftler vorsichtig sein: Sie können umfassendes Blendwerk sein. Für die Stammlerinnen (w/d/m) ist die Korrelation von Schreib- und Leseschwäche womöglich Anlass zum Überdenken der Berufswahl. „Aschehaufen haben es gern, wenn man sie für erloschene Vulkane hält“ (Wiesław Brudziński).

    Sprachkritik an Qualifikationsschriften sichert deren wissenschaftlichen Standard. Die Veröffentlichungspflicht für Dissertation soll diese Kritik ermöglichen. Wie kann jahrelanges Ringen um den eigenen Text mit erheblichen Fehlleistungen einhergehen? Und weshalb soll ein Leser oder Rezensent mit Nachsicht auf eine schlechte Arbeit und ihre sprachlichen Zumutungen reagieren: Die Unhöflichkeit liegt bei dem Autor, der solches emittiert. Der Autor übernimmt mit der autorisierenden Veröffentlichung der Arbeit die Verantwortung für Sachinhalt und sprachliche Darstellung. Es ist nicht Aufgabe des Lesers, eine solche Arbeit für sich in ein lesbares Format zu übertragen, indem er den Stumpfsinn beim Lesen korrigiert. Die Last eines oder auch mehrerer Korrekturdurchgänge liegt allein beim Autor.

    Bedenken Sie: Ihre Doktorarbeit ist Jahrzehnte im Umlauf; sie ist Ihre Leistungsschau, das publizierte Gesellenstück. Sollten Sie für eine Stelle in Betracht kommen, schaut der Entscheider womöglich hinein. Wer Ihnen später einmal übel will, schaut sich den Text an, eruiert Plagiate und deckt Phrasengestammel auf. Jede Fehlleistung kann ein Leben lang gegen Sie verwendet werden. Noch schlimmer ist eine harte Buchbesprechung, möglichst in einer online-Zeitschrift. Dann müssen Sie womöglich solches über sich lesen: „Wie schon in der Einleitung der Arbeit deutlich wurde, spiegeln sich die inhaltlichen Mängel der Arbeit in formalen Mängeln wider [...] Hierbei geht es nicht um einzelne Flüchtigkeitsfehler, die in jeder längeren Arbeit vorkommen. Vielmehr missachtet [Name] die wissenschaftlichen Standards prinzipiell. Neben den zahlreichen sprachlichen und stilistischen Fehlern, die dazu führen, dass die Lektüre mühsam und die Gedankenführung schwer nachvollziehbar ist, und fehlerhaften Querverweisen innerhalb der Arbeit, die bezeugen, dass [Name] selbst ihren Text nicht überblickt, ist insbesondere [Name]s Umgang mit wissenschaftlichen Quellen nicht anders als schlampig zu bezeichnen. [Name] scheinen die grundlegenden Regeln des Zitierens nicht geläufig zu sein. [Name] verändert bei direkten Zitaten den Wortlaut von Originalquellen, gibt indirekte Zitate als direkte aus sowie umgekehrt direkte Zitate als indirekte.“ (so eine Buchbesprechung von Spilgies in ZfIStw 2023, 52).

    Professoren, die solchen Stuss als Doktorarbeit durchwinken, sind faul: Haben sie die Arbeit nicht richtig gelesen (oder gar nicht: weil sie die Durchsicht pflichtwidrig einem PostDoc übertragen haben)? Scheuen sie Mühe und Anstrengung einer ernsthaften Betreuung? Gerade für Doktoranden gilt: Fördern heißt Fordern. Verkleistert wird das durch die „Achtsamkeitskultur“ umfassender gefühliger „Wertschätzung“ mit kuscheliger Leistungsbewertung – auch für stammelnde Autoren. Leistungslose Anerkennung zerstört die Wissenschaft stärker noch als Plagiate: Jene simulieren wenigstens Leistung.
    Erstaunlicherweise hat die Diskussion um scharfe Rezensionen (im Strafrecht) nicht die Frage behandelt, ob die von den Rezensenten geäußerte Kritik in der Sache zutrifft; stets ging es nur darum, was man öffentlich sagen darf. Manche Kritik an der Rezension hat erkennbar das besprochene Werk nicht herangezogen. Im Kern fordern einige Professoren, der Rezensent möge sich so wohlwollensblind stellen wie der Betreuer (wohl auch, damit dessen Minderleistung des Durchwinkens nicht auffällt).
    Treffend bemerkt Gärditz: „Wer hingegen so geringe Ansprüche an die wissenschaftliche Beweisführung stellt […], hebt ungewollt auch die Auseinandersetzungen von einer wissenschaftlich-fachlichen Debatte, die prinzipiell mit Argumenten entscheidbar ist, auf eine ideologische Ebene, in der nur noch Bekenntnis, Selbstdarstellung und Stilsicherheit zählen. Scharfe Kritik ist dann nicht Anlass, sich inhaltlich zu positionieren und diese ggf. wissenschaftlich zu falsifizieren. Kritik wird vielmehr zur moralischen Frage deformiert“ (ZIS 2021, 414, Hervorhebung von mir). Es geht im Kern nicht einmal um „moralische“ Fragen: Im Vordergrund steht eine spezifische Form des Beleidigtseins als Reaktion auf Kritik. Offenbar halten nicht wenige Wissenschaftler das in der Wissenschaft selbst angelegte Leistungsprinzip, das mit dem argumentativen Ringen um die „richtige“ Erkenntnis notwendig verbunden ist, für überholt – wenn solche Kritik die erwünschte Harmonie stört. Folge wäre dann ein Hinabgleiten in die Beliebigkeit; jeder Text wäre irgendwie anerkennenswert und trotz größter Schwäche ein Beitrag zur Wissenschaft. Indes: Die Wissenschaft ist keine Behindertenwerkstatt, bei der schon ein Mindestmaß argumentativ verwertbarer Diskussionsleistung mit Wohlwollen und Rücksichtnahme zu ertragen wäre (§ 219 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

    Der vermeintlich großzügige professorale Betreuer mag sich die Betreuungsanstrengung und dem Autor das Nacharbeiten ersparen – der Rufschaden einer stammelnden Doktorarbeit und womöglich einer kritischen Rezension bleibt am Doktoranden hängen. Insofern versagt der faule Betreuer auch in seiner Schutzaufgabe. Gerade wenn und weil die Doktorarbeit eine eigenständige wissenschaftliche Leistung sein soll, muss der Doktorvater unwissenschaftliches Gelaber zum Schutz der Wissenschaft (Qualitätssicherung) aber auch des Kandidaten aufhalten. Verspricht Nacharbeit keinen Erfolg, so muss die Promotion versagt werden.

    Deswegen rate ich dringend an, dem Text größtmögliche Sorgfalt zuzuwenden. Wenn Sie dies überfordert, lassen Sie die Dissertation sein und streben Sie für die Visitenkarte einen Master of Laws LL.M. einer ausländischen Universität an. Das geht mit weniger Aufwand einher und vor allem ist die Thesis nicht einsehbar („baerbocken“).

     

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